Der CO₂-Anstieg ist einzigartig

Ein Berner Forscher inspiziert das Segment eines Eiskerns im Tiefkühl-Labor der Universität Bern. Foto: Manu Friederich
Ein Berner Forscher inspiziert das Segment eines Eiskerns im Tiefkühl-Labor der Universität Bern. Foto: Manu Friederich

Auch in früheren Warmzeiten gab es sprunghafte Erhöhungen der CO-Konzentration in der Atmosphäre. Der heutige, vom Menschen verursachte CO-Anstieg ist allerdings mehr als sechsmal grösser und fast zehnmal schneller als die damaligen Sprünge. Zu diesem Schluss kommt ein europäisches Forschungsteam unter der Leitung der Universität Bern.

Eine an der Universität Bern entwickelte neue Messtechnologie ermöglicht einen ungeahnt detaillierten Einblick in die Klimavergangenheit. Dank hochauflösenden Messungen konnten die vergangenen CO₂-Konzentrationen in der Atmosphäre mit Hilfe von Eisbohrkernen aus der Antarktis so genau rekonstruiert werden wie nie zuvor. Entscheidend für die beispiellosen Einblicke in die atmosphärische Zusammensetzung vor rund 330’000 bis 450’000 Jahren war nicht zuletzt die jahrzehntelange Erfahrung der Berner Forschenden mit der Analyse dieses einzigartigen Klimaarchivs.

Prof. Dr. Thomas Stocker, Physikalisches Institut, Klima- und Umweltphysik (KUP) / Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR), Universität Bern. Foto: Remo Eisner
Prof. Dr. Thomas Stocker. Foto: Remo Eisner

Abschmelzende Eismassen störten die Ozeanzirkulation
Aufschlussreich erwies sich die detaillierte Rekonstruktion des vergangenen Klimas der acht Eis- und Warmzeiten, die während den vergangenen 800’000 Jahren aufeinander folgten. Dass die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre während dieser Zeitspanne durchgehend deutlich tiefer lag als heute, konnten die Berner Eiskernspezialisten schon 2008 aufzeigen. Doch bisher war nicht klar, wie hoch die maximale Geschwindigkeit von natürlichen CO₂-Anstiegen sein kann und wie häufig solche Ereignisse überhaupt vorkommen. Die aktuelle Berner Studie zeigt nun, dass schnelle CO₂-Anstiege ein weit verbreitetes Merkmal unseres Klimasystems sind – und dass diese sogar während Warmzeiten stattfinden können. «Bisher hatte man angenommen, dass das Klima während natürlichen Warmzeiten sehr stabil ist und es zu keinen schnellen CO₂-Änderungen in der Atmosphäre kam», erklärt Christoph Nehrbass-Ahles, der Erstautor der Studie, der an der Universität Bern doktorierte und seit kurzem an der Universität Cambridge in England forscht.

Dr. Christoph Nehrbass-Ahles. Foto: Jan Weber
Dr. Christoph Nehrbass-Ahles. Foto: Jan Weber

Die sprunghaften Anstiege, so Nehrbass-Ahles, zeigten sich immer dann, wenn schmelzende Eismassen in Grönland oder der Antarktis die Ozeanzirkulation erheblich störten. Schnellte das CO₂ in der Atmosphäre in die Höhe, liessen sich auch gleichzeitige Änderungen in der Zirkulation des Atlantiks feststellen.

CO-Anstieg verlief zehnmal langsamer als heute
Dass sich schnelle CO₂-Sprünge nicht nur während den Eiszeiten, sondern auch während zweier vergangener Warmzeiten nachweisen liessen, überraschte die Forschenden. «Wir haben diese Ereignisse im Eis mehrmals nachgemessen und sind immer zum gleichen Schluss gekommen», erklärt Nehrbass-Ahles. Warum die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre in vergangen Warmzeiten sprunghaft hochgeschnellt ist, können die Forschenden nicht schlüssig sagen. «Wir wissen noch nicht, aus welchen Gründen dies geschah», erklärt der Berner Klimaforscher Thomas Stocker, Mitautor der Studie: «Hier stellen sich neue Forschungsfragen.»

Die CO₂-Sprünge der vergangenen Warmzeiten werden von der aktuellen Entwicklung jedoch weit übertroffen: «Diese natürlichen Sprünge der CO₂-Konzentration der Atmosphäre geschahen fast zehnmal langsamer als der menschgemachte Anstieg über das letzte Jahrzehnt», betont Nehrbass-Ahles.

Damaliger Sprung entspricht gegenwärtigem CO-Ausstoss von sechs Jahren
Interessant ist auch, wie gross die rekonstruierten Erhöhungen im Vergleich mit dem aktuellen, menschgemachten Anstieg der CO₂-Konzentration waren. Der grösste Anstieg in der Vergangenheit, so Stocker, habe rund 15 ppm betragen (parts per million ist die Masseinheit für die atmosphärische CO₂-Konzentration). Das entspricht etwa dem Anstieg, den die Menschheit gegenwärtig im Zeitraum von sechs Jahren verursacht. «Das mag auf den ersten Blick als nicht sehr bedeutend erscheinen», sagt Stocker, «mit Blick auf die Mengen von CO₂, die wir noch ausstossen dürfen, um das in Paris beschlossene 1,5 Grad-Klimaziel nicht zu verlieren, sind solche Erhöhungen aber durchaus relevant.» Denn Tatsache ist: Ein durch die Klimaerwärmung ausgelöster zusätzlicher Anstieg des Treibhausgases CO₂, wie er in der Vergangenheit auftrat, könnte die Menschheit beim Klimaschutz noch stärker unter Zugzwang bringen.

Die Studie wurde ermöglicht durch langjährige Beiträge des Schweizerischen Nationalfonds und der Europäischen Kommission im Rahmen des European Project for Ice Coring in Antarctica (EPICA).

 

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927 – 1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war. www.oeschger.unibe.ch