Die Sonne gibt noch viele Rätsel auf

Lucia Kleint interessiert sich als Forscherin für die Sonne und die noch ungelösten Rätsel. Foto: zvg
Lucia Kleint interessiert sich als Forscherin für die Sonne und die noch ungelösten Rätsel. Foto: zvg

Wir Menschen kennen die Polarlichter auf der Erde. Diese werden von Sonnenausbrüchen verursacht. Bis heute lässt sich aber nicht voraussagen, wann wir das nächste Polarlicht sehen, oder wann der nächste Sonnenausbruch stattfindet. Ziel der Forschung von Prof. Lucia Kleint ist die Sonne und ihre noch ungelösten Rätsel. 
Interview: Oskar E. Aeberli

 

Als Astrophysikerin befassen Sie sich sehr intensiv mit der Erforschung der Sonne. Was waren bislang die wesentlichsten Erkenntnisse?
Wir konnten eine Eruption koordiniert mit vielen Satelliten beobachten («best observed flare» NASA). Daraus konnten wir mehr als ein Dutzend Publikationen verfassen mit Erkenntnissen was genau bei einer Sonneneruption passiert. Auch haben wir neue Methoden zur automatischen Analyse von Millionen von Bildern entwickelt. Viel früher hatte man ein paar Fotos pro Nacht, heutzutage kann man viel mehr beobachten und aufnehmen, allerdings muss man dadurch auch effizienter analysieren können.

Neben der Sternwarte der Universität Zürich nutzten Sie auch das europäische Sonnenteleskop auf Teneriffa für Ihre Forschungsarbeit. Wozu?
Auf Teneriffa habe ich mehrere Jahre zwei Sonnenteleskope geleitet. Dabei haben wir die Optik am Teleskop verbessert, um die höchste Sonnenauflösung von Europa aus zu erreichen. Mein oft benützter Vergleich: Es ist so, als würde man eine Nadel auf einem Fussballfeld erkennen können aus einer Entfernung von einem Kilometer.

Was heisst das im Falle der Sonne konkret?
Wir sehen Details auf der Sonne, die nur 50 km gross sind, was extrem klein ist im Vergleich zum Sonnendurchmesser (109 Erdgrössen, 1.4 Millionen km). Generell beobachte ich die Sonne an vielen Teleskopen weltweit, z.B. dieses Jahr in La Palma, mit dem Ziel mehr über Sonneneruptionen zu erfahren. Dank der hohen Auflösung können wir auch z.B. Temperaturen, Dichten und Verläufe von Eruptionen im Detail bestimmen.

Weshalb interessieren Sie sich als Astrophysikerin mehr für die Sonne als für die Planeten und Sterne?
Fürs Doktorat musste man sich spezialisieren und es war eher Zufall, dass es die  Sonnenphysik wurde. Ich hatte interessante Vorlesungen besucht und vor allem eine Diplomarbeit am National Solar Observatory in den USA geschrieben, deswegen fand ich das Thema interessant. Die anderen Themen interessieren mich aber noch immer, ab und zu besuche ich während Konferenzen bewusst Vorträge zu anderen Themen wie Planeten, Galaxien, oder Sternenentstehung, um Neuigkeiten aus anderen Gebieten zu erfahren.

 Meine Forschungsgruppe befasst sich mit der Vorhersage von Eruptionen.

Was für Erkenntnisse haben Ihnen die Beobachtungen der Eruptionen auf der Sonnenoberfläche gebracht?
Meine Forschungsgruppe befasst sich mit der Statistik und Vorhersage der Eruptionen. Gibt es Unterschiede? Ist die Physik immer gleich? Wann wird die nächste Eruption stattfinden? Wird irgendwann eine Eruption erfolgen, die unsere Technologie auf der Erde beschädigen kann? Wir haben bereits Teile dieser Fragen beantworten können.

Welche Gefahren bieten Sonnenstürme als häufige Folgen von Eruptionen?
Polarlichter, erhöhte Strahlung, sowohl für Astronauten wie auch Menschen in Flugzeugen, Störungen von GPS oder Satelliten. Auch das Stromnetz kann schwanken, z.B. fiel im Jahr 1989 der Strom in Teilen von Kanada nach einer Sonneneruption aus.

Lassen sich Sonnenstürme und die dadurch resultierenden Folgen für die Erde voraussagen?
Bisher leider nicht. Man hat Hinweise, wann sie passieren können, nämlich wenn grosse komplexe Sonnenflecken sichtbar sind, aber es weiss bisher niemand, ob in so einem Fall der nächste Sonnensturm in einer Stunde oder gar nicht passiert.

Sie sind auch Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Für welche Gebiete?
Grundlagen der Mathematik und Methoden in Data Science (Regression). Die Auswertung von grossen Datenmengen ist nicht nur in der Astronomie wichtig, sondern auch in der Industrie und die Methoden dazu sind sehr ähnlich.

An der Hochschule halfen Sie mit, ein neuartiges Röntgen-Teleskop zu entwickeln. Zu welchem Zweck?
Das Röntgenteleskop STIX ist eines der 10 Instrumente an Bord von Solar Orbiter, ESA’s neuestem Sonnensatelliten. Dieses beobachtet Eruptionen auf der Sonne, die man somit besser verstehen kann, wie z.B. deren Temperatur und deren Physik (beschleunigte Teilchen).

Hat die Weltraumorganisation ESA dieses neuartige Instrument mit einem Sonnensatelliten bereits nutzen können?
Der ESA Satellit Solar Orbiter ist 2020 gestartet und ist auf dem Weg zu seiner finalen Umlaufbahn um die Sonne. Es dauert etwa zwei Jahre, bis der wissenschaftliche Hauptteil der Mission beginnen kann. Am 27.11.2021 ist Solar Orbiter sogar nur 460 km an der Erde vorbeigeflogen. Seine Bahn ist dabei geplant abgelenkt worden, damit er danach sehr nahe bei der Sonne vorbeifliegen kann. Erste Testdaten sehen jetzt schon gut aus, aber alle freuen sich auf den Hauptteil der Mission.

Noch werden wenige Prozente unserer Energie durch Solaranlagen gewonnen.

Ihre Faszination gehört neben der extrem heissen Sonne auch dem für die Menschen eher kühlen Mond. Weshalb?
Den Mond finde ich hauptsächlich bei Publikumsführungen in der Sternwarte faszinierend. Man sieht mit dem Teleskop wunderschön Details wie Krater und Berge.

Kennen Sie als Astrophysikerin die genaue Temperatur an der Sonnenoberfläche und jene der Korona in der unmittelbaren Umgebung?
Ja, solche Messungen kann man anhand des Sonnenlichts machen, übrigens auch bei anderen Sternen. Wir wissen, dass es kühle (3000 Grad) bis heisse (über 10000 Grad) Sterne gibt. Bei der Sonne ist faszinierend, dass man in ihrem Zentrum Temperaturen von Millionen von Grad hat, an der Oberfläche dann paar Tausend Grad und weiter aussen steigt die Temperatur unerklärlicherweise wieder auf mehr als eine Million Grad. Das ist eines der grossen offenen Rätsel der Astronomie.

Wie lange existiert die Sonne schon und welche Menge an Energie setzt sie frei?
Die Lebensdauer beträgt rund 10 Milliarden Jahre. Zurzeit befindet sie sich mit rund 4,5 Milliarden Jahren etwa in der Hälfte. Die Energiemenge ist unvorstellbar gross: Jede Sekunde verliert die Sonne rund 4 Millionen Tonnen an Gewicht, welches in Energie umgewandelt wird.

Wie lässt sich aus Ihrer Sicht die enorme Energie der Sonne auf der Erde in naher Zukunft noch besser nutzen?
Solaranlagen sind eine gute Art, die Sonnenenergie zu nutzen. Leider ist das Wetter in Europa meist nicht ideal dafür, aber man könnte grosse Solaranlagen in Gebieten bauen, wo das Wetter meist gut ist. Momentan werden nur wenige Prozent unserer Energie durch Solaranlagen gewonnen, aber es wäre sinnvoll, dies auszubauen, da es eine saubere Energiequelle ist.

Was möchten Sie in Zukunft noch über die Sonne und Gestirne erfahren?
Ich würde gerne Eruptionen so gut verstehen, dass man sie voraussagen kann. Ausserdem wissen wir noch nicht, warum die Sonne aussen heisser ist als an ihrer Oberfläche. Auch ist noch nicht geklärt, warum gewisse Sterne viel grössere Eruptionen haben können als die Sonne, und ob das erstens bei uns auch vorkommen kann, was für uns auf der Erde gefährlich werden könnte, und zweitens, welchen Einfluss das potenziell auf dortige Planeten und eventuell Leben haben kann.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Würde Sie als Astrophysikerin ein Weltraumflug reizen?
Ja, sofort.

Faszinierte Sonnenforscherin

Lucia Kleint (38) ist Assistenzprofessorin an der Universität Genf und Dozentin an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). In der Forschung fokussiert sie sich auf Sonneneruptionen, solare Magnetfelder, astronomische Instrumente und die Analyse von  Multiwellenlängendaten, die von Raumonden und bodengebundenen Instrumenten aufgenommen werden. Sie ist zudem Leiterin eines PRIMA-Forschungsprojektes des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), das an Anwendungen für maschinelles Lernen für die Solar- und Sterndaten-Analyse forscht. In der Vergangenheit arbeitete sie an Satelliten (IRIS, Solar Orbiter) und war Leiterin der Deutschen Sonnenteleskope am Observatorium del Teide auf Teneriffa.