Richard Osterwalder hat die rasante Entwicklung der Energie- und Gebäudetechnik in den letzten 30 Jahren hautnah miterlebt und mitgeprägt. Im Interview erklärt er, wie die Schweiz heizt, wie er zum Klimawandel steht und weshalb es noch immer fossile Heizungen braucht.
Interview: Pius Schärli, RaiffeisenCasa
Die 1992 eingeführte Luftreinhalteverordnung hat die Energiebranche richtiggehend durchgeschüttelt. Wie haben Sie diesen Einschnitt erlebt?
Richard Osterwalder: Mit der Luftreinhalteverordnung mussten die Abgaswerte Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Ozon und Kohlenmonoxid halbiert werden. Alle Hersteller standen damals vor grossen Herausforderungen, welche zwecks Erfüllung der neuen Vorschriften mehrheitlich zeitnah gelöst wurden. Ich hatte dabei bei der Weishaupt den Vorteil, eines der führenden Forschungs- und Entwicklungsinstitute im Rücken zu haben.
Sie haben sich praktisch Ihr ganzes berufliches Leben der Energie- und Gebäudetechnik verschrieben, zu Beginn vor allem der Wärmeerzeugung mittels Gas und Öl. Wenn wir eine fossile Heizung aus den 1990er-Jahren mit einer heutigen Anlage vergleichen, wie stark hat sich die Feuerungstechnik verändert?
Mitte der 1990er-Jahre wurde die Brennwerttechnik, also die Nutzung der Kondensatwärme vom Abgas zum Standard. Dazu wurden Brennertechnik (LowNOx Brenner) und Heizkessel weiterentwickelt und optimiert. Dadurch entstanden tiefere Emission- und höhere Effizienz-Werte. Im Laufe der Jahre wurden die Produkte weiterentwickelt, auch die Regelungen. Gleichzeitig wurde das Öko-Heizöl (tieferer Schwefel- und Stickstoffwert) eingeführt. Von einem Quantensprung zu sprechen, halte ich deshalb für nicht übertrieben.
Ab wann hat der Wind gedreht, indem sich die Immobilienbesitzer für andere Heiztechnologien wie Wärmepumpen oder Solarthermie zu interessieren begannen?
Sie sagen es richtig, Solarthermie und nicht Photovoltaik. Solarthermie erwärmt Wasser, Photovoltaik erzeugt Strom. Wärmepumpen gibt es mit den Energiequellen Luft, Erdreich sowie Grund- oder Seewasser. Die Wärmepumpe hat dabei eine Geschichte, die weiter zurück reicht als vermutet. In den vergangenen Jahrzehnten konnte sie sich jedoch wirklich auf dem Wärmemarkt durchsetzen. 1982 wurden rund 1’500 Stück eingesetzt, 40 Jahre später rund 40’000 Stück. Ziehen wir die Wärmepumpen zu Rate, dann haben diese vor rund zehn Jahren fossile Wärmeerzeuger überholt.
Dennoch, in der Schweiz stehen immer noch zu viele fossile Heizungen und zu viele werden durch ein gleichartiges System ersetzt. Stimmen Sie hier zu?
Jein. Der gesamte Schweizer Gebäudepark zählt zurzeit 1,8 Mio. beheizte Bauten mit einer Gesamtfläche von 800 Mio. Quadratmetern. Davon sind rund eine Million Einfamilienhäuser sowie rund 500’000 Mehrfamilienhäuser. Der Anteil von Heizöl-Heizungen hat sich von 58.5 Prozent (1990) auf 40.7 Prozent (2021) verringert. Anders ist es beim Gas, dessen Anteil von 8.5 Prozent (1990) auf 17.6 Prozent (2021) gestiegen ist. Wärmepumpen wurden bis 2021 bei 17.0 Prozent der Gebäude eingesetzt.
Zur Beurteilung der fossilen Heizungen muss berücksichtigt werden, dass mit der Vorschrift der LRV92 seit 1992 viele Heizungen ersetzt wurden. Andererseits gibt es Gebäude, Heizungen und Situationen, bei welchen der Ersatz durch eine Wärmepumpe sehr schwierig bis unmöglich ist. Beispiele hierfür sind Heimatschutz, Geologie, Schallschutz oder Anforderungen bei der Wärmeverteilung mit Temperaturen über 70 Grad.
Zur Person
Richard Osterwalder (66) ist Unternehmer, Berater und Gebäudetechnik-Experte und war über 30 Jahre CEO der Weishaupt AG (Schweiz) der weltweit in der Heiztechnik tätigen Weishaupt Gruppe. Osterwalder ist Gründer der unabhängigen und neutralen Online-Beratungsplattform energieportalschweiz.ch.
Wo sehen Sie noch Chancen zu weiteren Energie-Einsparungen?
Bei der Überwachung aller Funktionen und Einstellungen der gesamten Heizungsanlage (Wärmerzeuger und Wärmeverteilung). Meiner Meinung nach sollte eine neue Anlage die erste Wintersaison so optimiert werden, dass die höchstmögliche Energieeffizienz erreicht wird. Dabei setze ich voraus, dass die Hydraulik und Regelung technisch perfekt geplant und installiert sind, auch nach Vorgaben der Hersteller. So sollte beispielsweise eine Wärmepumpe mit zehn bis 15 Schaltungen pro Tag eingestellt sein, was bezüglich Effizienz und Lebensdauer gute Werte sind.
Wie stehen Sie als langjähriger Vertreter der Gebäudetechnikbranche dem Klimawandel gegenüber?
Ich habe grossen Respekt vor den Folgen des Klimawandels wie Trockenheit, Hitzewellen und Dürreperioden. Es ist aber auch Fakt, dass die Gebäudetechnik-Branche sehr viel zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt. Der Gesetzgeber setzt Ziele und Vorschriften, welche die Branche teilweise mehr als erfüllt.
In einem Interview haben Sie gesagt, es braucht beim Thema Klimawandel praktische Lösungen. Was meinen Sie damit konkret?
Praktische Lösungen sind nach meinen Erfahrungen bedürfnis- und anwendungsgerechte Lösungen. Höchste Energieeffizienz ist das Ziel. Dazu gehört, dass die technischen Lösungen für jedermann gut und verständlich zu bedienen sind. Da kann man beispielsweise mit der Digitalisierung übers Ziel hinausschiessen. Nicht alle Hauseigentümer sind IT-Cracks.
Sie sind Gründer des Energieportalschweiz.ch, welches Sie nach wie vor betreiben. Wie kamen Sie dazu?
Alle kennen die zeitaufwändige Herausforderung, mit Suchmaschinen qualifizierte und vertrauenswürdige Antworten zu finden. Darin liegt die Grundidee, ein Portal zu erstellen, das sich im Thema Gebäudetechnik bewegt. Darin soll der Besucher «mit einem Klick» Antworten auf seine Frage bekommen. Dazu habe ich ausschliesslich Informationen von Schweizer Verbänden hinterlegt. Zusätzlich hat der Besucher auch einen Überblick der anwendbaren Gebäudetechnik, Förderbeiträge, Fachunternehmen wie Energieberater, Planer, Installationsfirmen, aber auch eine Übersicht führender Anbieter, nebst Fachzeitschriften und Finanzierungsmöglichkeiten. Unter Dienstleistungen und Informationen stehen Portale zur Verfügung mit der aktuellen Energiesituation.
Das Portal bezeichnet sich als unabhängige und neutrale Beratungs- und Informationsplattform. Welche Erwartungen und Ziele verknüpfen Sie damit?
In der Tat ist sie unabhängig, da ich die Plattform weitgehend selber finanziere und bewirtschafte mit Informationen der aktuellen Entwicklungen der Branche (primär Verbände) und Partner, Behörden, Vorschriften und weitere Informationen. Es ist und war mir ein grosses Anliegen, mein Wissen, Erfahrungen und Netzwerk in eine Plattform Gebäudetechnik zu «verpacken» und damit eine Dienstleistung für Bauherren, Architekten, Planer, Behörden, Gemeinden, Energieberater, Installationsfirmen und an Gebäudetechnik Interessierte zur Verfügung zu stellen.
Sie arbeiten mit Ihrer Plattform mit Raiffeisen zusammen. Warum haben Sie sich für diese Bank entschieden?
Ich bin selbst nahezu 30 Jahre Kunde von Raiffeisen und begeistert von der persönlichen und kompetenten Beratung und Betreuung. Die regionale Präsenz und damit auch die Nähe zur Wirtschaft und Unternehmen, aber auch die regionalen Aktivitäten haben mich überzeugt. Mit RaiffeisenCasa stehen dem Besucher eine Vielzahl von Informationen und Tools im Bereich Gebäudetechnik und Energie zur Verfügung. Ich sehe da viel Synergie mit dem energieportalschweiz.ch. Wir unterstützen und ergänzen uns perfekt als Dienstleister für Interessierte, auch in diesem Bereich.
In aller Kürze
- Öl- und Gasheizungen sind langfristig günstiger. Nein
- Es braucht ein Verbot von fossilen Heizungen. Nein
- Öl- und Gasheizungen werden zu Unrecht verteufelt. Ja
- Fossile Heizungen sind schon länger auf dem absteigenden Ast. Ja
- Die aktuelle Strom- und Energiekrise beschleunigt die Energiewende. Ja
- Beim Hausbau denkt man noch zu wenig an die Heiztechnik. Ja