Es gibt Karrieren, die auffällig gradlinig verlaufen: Jemand spezialisiert sich in einem Bereich, holt sich dort Meriten, schwingt sich zum erfolgreichen Unternehmer auf und widmet sich nach der Berufslaufbahn Kunst und Kultur. Eine solche Bilderbuchlaufbahn prägte das Leben von Anton Heinrich Hütte, der am 18. April 2020 nach längerer Krankheit in seiner Geburtsstadt Oberwesel in Rheinland-Pfalz verstarb. Er hatte einerseits das Glück, seine Karriere in einer Zeit des Aufschwungs zu starten – und andererseits das sichere Gespür dafür, wie man Chancen mit Innovationsgeist, Engagement und klaren Visionen nutzt.
Anton Heinrich Hütte kam am 16. Februar 1932 zur Welt. Seit Vater war Stellmacher mit eigenem Betrieb, wo auch Anton Heinrich Hütte seine Lehre als Stellmacher absolvierte. 1950 begann er in Koblenz eine zweijährige kaufmännische Handelsschule. Dass er schon zu dieser Zeit ein eigenständiger Denker war, der seinen eigenen Weg gehen wollte, schlug sich im Zeugnis nieder: Für Fleiss erhielt er die Bestnote sehr gut, für Betragen nur gerade gut.
Anschliessend liess sich Anton Heinrich Hütte während drei Jahren an der Holzfachschule im bayrischen Rosenheim zum Diplom-Ingenieur FH für Holztechnik ausbilden. Seine erste berufliche Station brachte ihn nach Stuttgart: Bei Kiefer wurde er Projektingenieur für Holztrocknungsanlagen. Dann zog er nach Düsseldorf, wo er bei Honeywell als Vertriebsingenieur und Abteilungsleiter für Klimaregelung tätig war. Zudem lernte er in Düsseldorf seine Frau Margot kennen und bekam mit ihr zwei Töchter.
In einem Film über sein Leben erzählt Anton Heinrich Hütte, wie seine Verbindung zur Schweiz zustande kam, welche seine Zukunft stark beeinflussen sollte. «Die im Kanton Zürich ansässige Stäfa Control AG, die in der Klimaregelung tätig war, wollte in Deutschland eine Vertretung haben und fragte an, ob ich mich am Aufbau dieses Unternehmens beteilige. Ich sagte mehrmals ab – aber am Ende liess ich mich doch darauf ein. Auch wenn es alle meine Kollegen bescheuert fanden, meinen guten Job bei Honeywell aufzugeben.» Das Risiko lohnte sich: Mit drei Kollegen führte Anton Heinrich Hütte die neue deutsche Vertriebsgesellschaft, die Magnet Regelsystem GmbH, ab 1967 innerhalb kürzester Zeit zum Erfolg.
Zu dieser Zeit lernte er auch die Engpasskonzentrierte Strategie (EKS) des Betriebswirts Wolfgang Mewes kennen. Sie faszinierte ihn derart, dass sie sein künftiges Berufsleben – und die Entwicklung seines Lebenswerks Belimo – prägen sollte. Wolfgang Mewes formulierte zahlreiche Grundsätze, die Belimo später ins Zentrum rückte und die im Unternehmen bis heute Gültigkeit haben. Dazu gehören etwa:
- Je grösser die Konzentration, desto stärker die Kraft auf den wirkungsvollsten Punkt. In Zeiten, in denen überall Diversifikation gepredigt wurde, war dieses Bekenntnis zur Spezialisierung geradezu revolutionär.
- Man muss bei allen Prozessen den grössten Engpass suchen und dort zuerst Lösungen finden – dann werden sich viele kleinere Probleme von selbst lösen. Dieser Grundsatz gab der Strategie den Namen.
- Ein Unternehmen muss eine Nische besetzen – und sich nicht dort bewegen, wo sich alle tummeln. Wer allen etwas bieten will, bietet niemandem etwas Besonderes. In der Nische muss man zudem nicht nur besser sein, als die Mitbewerber, sondern grundsätzlich neue Lösungen mit echtem Mehrwert entwickeln.
1974 kaufte die Elektrowatt die Stäfa Control AG – und Elektrowatt kündigte den Vertretungsvertrag mit der Magnet Regelsystem GmbH. Deren Inhaber mussten entscheiden, ob sie ein eigenes, umfassendes Sortiment im bisherigen Bereich aufbauen sollten. Ein solches Projekt erwies sich aber als nicht realisierbar. Doch das Pionier- und Unternehmerfieber hatte die Inhaber gepackt. Anton Heinrich Hütte: «Die Kollegen fragten, ob wir nicht eine ganz neue, eigene Firma auf die Beine stellen wollten. Ich sagte: Ich bin dabei – aber nur, wenn wir sie nach den Prinzipien der EKS führen.»
Die Kollegen fanden das gut, und so wurde am 1. Juli 1975 die Belimo im schweizerischen Gossau aus der Taufe gehoben. Der Name ist ein Akronym für «Beraten – Liefern – Montieren». Die sechs Gründer waren die beiden mittlerweile verstorbenen Herren Walter Burkhalter und Werner Roner, Walter Linsi, Ludwig Linsi, Karl Stocker und eben Anton Heinrich Hütte als Präsident des Verwaltungsrats.
Das erste und bis heute erfolgreiche Produkt des Unternehmens ist ein Steckantrieb für die Klappenverstellung in Lüftungsanlagen. Der Steckantrieb machte zuvor mühsame Montagearbeiten obsolet und entsprach in jeder Hinsicht den Vorgaben der EKS: Der Antrieb war nicht einfach eine Verbesserung von Bestehendem, sondern beruhte auf einem völlig neuen Ansatz für die Lösung eines Problems. Zudem besetzte das Produkt mit Kraft eine Nische. Vor allem aber wurde und wird es vorwiegend mit Komponenten von Zulieferern hergestellt. Belimo konzentriert sich vor allem auf die Entwicklung, Montage und Qualitätskontrolle – und vertraut darauf, dass Zulieferer bestimmte Geräteteile einfach besser anfertigen können, als man es selber könnte. Das Einbinden von Externen erspart zudem Investitionen in eigene Produktionsanlagen, nutzt Innovationen der Fachleute und erhöht die Flexibilität.
Bis 2020 verkaufte Belimo über 100 Millionen solcher Antriebe. Das Prinzip folgt noch immer der Erstentwicklung. Belimo wurde zum Weltmarktführer – was von Beginn weg, ganz gemäss EKS, das Ziel war. Mittlerweile befindet sich das florierende Unternehmen des Heizungs-, Lüftungs- und Klimasektors im zürcherischen Hinwil, Schweiz. Es beschäftigt rund 1900 Mitarbeitende, führt rund um den Globus Tochterfirmen und verzeichnet jedes Jahr Zuwachsraten von 5 bis 10 Prozent.
Einen für Belimo wichtigen Entscheid wurde 1995 gefällt, als das Unternehmen an die Börse gebracht wurde. Ziel war es, die langfristige Unabhängigkeit zu sichern und die Pensionierung der sechs Gründer gut zu regeln. Zwei Jahre später zog Anton Heinrich Hütte mit seiner Frau zurück in seine Geburtsstadt Oberwesel. In Oberwesel gründete Anton Heinrich Hütte die Kulturstiftung Hütte; rund um die alte Stellmacherwerkstatt seines Vaters entstanden ein Stadtmuseum und das Kulturhaus. 18 Jahre lang war er Vorstandsvorsitzender der Stiftung, erst 2019 gab er diese Funktion auf. Wegen seines kulturellen Wirkens war ihm bereits 2008 die Ehrenbürgerschaft von Oberwesel verliehen worden – das war noch einmal eine Krönung dieser Biografie, die so viele Höhepunkte aufweist.