Viele Gebäude verbrauchen im Betrieb wesentlich mehr Energie als geplant. Dieser sogenannte Performance Gap war ein Schwerpunkt des erstmals durchgeführten Gebäudetechnik Kongresses im KKL Luzern. Rund 400 Personen nahmen am Anlass teil. Offensichtlich wurde mit der Auswahl der Themen ein Nerv der Zeit getroffen. Text: Monika Schläppi
Mit der im Mai 2017 überraschend deutlich angenommenen Abstimmung über die Energiestrategie 2050 ist der Auftrag auch rechtlich verbindlich: Der Schweizer Gebäudepark muss energieeffizienter, intelligenter und ressourcenschonender werden. Die Gebäudetechnikbranche sei verantwortlich für die quantitative und qualitative Umsetzung dieser Ziele, forderte Adrian Altenburger, Vizepräsident des SIA und OK-Präsident Gebäudetechnik Kongress: «Wir müssen deshalb die Kräfte bündeln und das Know-how stärken.» Dazu sei es wichtig, dass auch Forschung und Praxis näher zusammenrücken.
Neben dem Thema Innovation war der Performance Gap ein weiterer Schwerpunkt der Tagung. Als Performance Gap werden messbare und teilweise grosse Abweichungen zwischen dem errechneten und dem tatsächlichen Energiebezug von Anlagen und Gebäuden verstanden. Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur ältere Bauten. Es ist auch bei neu erstellten Gebäuden eine Tatsache. Das Bundesamt für Energie (BFE) veröffentlichte letztes Jahr die «Erfolgskontrolle Gebäudeenergiestandards 2014 – 2015». Das ernüchternde Ergebnis der Untersuchung: Die Abweichung zwischen Soll- und Istwerten beim Energiebezug ist massiv. Das zeigt sich bei Neubauten, die «nur» die MuKEn zu erfüllen haben ebenso wie bei Gebäuden nach Minergie-Standards. Gerade bei Minergie-Mehrfamilienhäusern wurde ein Mehrverbrauch von über 60 Prozent nachgewiesen. Es dürfe nicht sein, dass man den Energiebezug bis auf die dritte Kommastelle berechne, dieser im Betrieb aber massiv über den errechneten Werten liege, meinte Altenburger in seiner Eröffnungsrede.
Dekarbonisierung als Ziel
Diese Lücke werden die Gebäudetechniker nicht nur wegen ihrem Berufsstolz schliessen müssen, sondern auch um den verschärften gesetzlichen Vorgaben gerecht zu werden. Mit der Energiestrategie 2050 sind die Weichen jetzt definitiv gestellt. Nun müssen Branche und Behörden am gleichen Strick ziehen. «Kantone, Berufsverbände und Fachleute spielen für die Weiterentwicklung des Gebäudeparks eine entscheidende Rolle», sagte Benoît Revaz, Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE). «Neben der weiteren Verbesserung der Energieeffizienz ist die Dekarbonisierung des Gebäudeparks ein langfristiges und wichtiges Ziel», sagte Revaz. Fossile Wärmequellen werden zum Beispiel durch Wärmepumpen oder den Ausbau von Fernwärmenetzen ersetzt. Der Zubau von Speicherkapazitäten und die zunehmende Vernetzung innerhalb von Quartieren macht Gebäude zudem zu «Energieakteuren», wie Revaz sagte. Der Gebäudepark werde darum «eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung des schweizerischen Energiesystems» spielen.
Ursachen verstehen
Damit Bestandes- wie auch Neubauten die energetischen Vorgaben einhalten können, muss der bereits erwähnte ‹Performance Gap›, also die Lücke zwischen Soll- und Istwert, geschlossen werden. Martin Ménard ist Partner bei der Lemon Consult AG und Vizepräsident der SIA-Kommission KGE. «Bei umfangreichen Untersuchungen von mehreren tausend Gebäuden benötigen paradoxerweise Bestandesbauten der schlechtesten Energieklassen oft weniger Energie, als prognostiziert. Im Gegenzug beziehen ausgerechnet Gebäude der höchsten Energieklassen im Betrieb deutlich mehr Energie, als in der Planung berechnet», erläuterte Ménard.
«Ich vermute, dass ein Grund dafür die Normen für die Planung und Berechnung sind», sagte Ménard. Für viele Wohngebäude wird zum Beispiel gemäss SIA-Standard eine Raumtemperatur von 20 Grad angenommen. Für jedes weitere Grad wird im Schnitt zusätzlich 12 Prozent Heizwärme benötigt. Wer sein Wohnzimmer auf 23 Grad heizt, verursacht also allein damit schon einen Performance Gap von 36 Prozent. Grosse Abweichungen können auch durch den Einsatz von Komfortlüftungen entstehen. Eine von Lemon Consulting durchgeführte Untersuchung mehrerer Wohnsiedlungen zeigte effektive Verbrauchswerte von über 100 Prozent des errechneten Wertes. Mit nächtlichen Thermografieaufnahmen gelang es schliesslich, das Problem zu erkennen: Viele Kippfenster waren die ganze Nacht über geöffnet, was zu enormen Energieverlusten führte. «Wir müssen die Ursachen des Performance Gap noch besser verstehen», sagte Ménard, «nur so können wir Fehlinterpretationen oder falsche Anreize erkennen und zielgerichtete Verbesserungen umsetzen.» Der SIA hat dazu ein Projekt zur Harmonisierung der Standardwerte gestartet.
Benutzer im Fokus
Die Gebäudeautomation wird heute über zahlreiche einzelne Sensoren gesteuert. Präsenzmelder steuern die Beleuchtung, CO2-Messgeräte die Belüftung. Die Gebäudesicherheit wird mit Brand- oder Glasbruchmeldern abgedeckt. All diese Verfahren decken meist nur einen einzigen Aspekt ab, dadurch lässt sich nur indirekt nachweisen, dass sich jemand im Gebäude aufhält. «Man benutzt eine Vielzahl von Sensoren um zu erfassen, welche Spuren die Benutzer im Gebäude hinterlassen. Die Benutzer als solche erfasst man hingegen nicht», erläuterte Olivier Steiger, Dozent für Gebäudeautomation an der HSLU. Mehr Möglichkeiten bietet die Bildanalyse. «Durch einen einzigen Sensor erhält man eine sehr umfassende Information, die anschliessend für viele verschiedene Zwecke ausgewertet werden kann», sagte Steiger. Ein Bild zeigt die anwesenden Personen, deren aktuelle Tätigkeit im Raum und liefert daneben weitere Informationen wie zum Beispiel die aktuelle Tageslichtverteilung.
Dank der Informationen aus der Bildanalyse können eine individualisierte Beleuchtung und individualisiertes Klima erzeugt werden. Auch das ergonomische Setting des Arbeitsplatzes könnte man so steuern», erklärte Steiger. Risiken für solche Technologien sind die Verletzung von Privatsphäre und Datenschutz. «Die sehr grosse Nachfrage für Bildanalyse in fast jedem Gebiet wird für eine rasch wachsende Expertise sorgen. Unabhängig davon müssen wir die rechtlichen und datenschutzbezogenen Aspekte lösen», erklärte Steiger.
Anforderungen steigen
Die zahlreichen Perspektiven der Referenten zeigten vor allem eines: Mit jedem Jahr wachsen die Anforderungen an die Gebäudetechnikbranche. Mehr denn je lösen sich die Grenzen zwischen den Gewerken, Disziplinen und Berufsbildern auf. Die Fachleute der Zukunft werden noch stärker als bisher mit Planern und Architekten zusammenarbeiten, höheren gesetzlichen Auflagen nachkommen und immer wieder neue Antworten für auftauchende Probleme finden müssen. Der Gebäudetechnik-Kongress, der unter anderem vom SIA, dem SWKI und der Electrosuisse getragen wird, zeigt diese Entwicklung deutlich.
Weitere Informationen:
Video-Statements
www.gebaeudetechnik-kongress.ch
SWKI Ausbildungspreis
Die beiden Absolventen des HSLU Studiengangs «Gebäude-Elektroengineering GEE» Thomas Ming und Stefan Baumgartner erhielten eine Ehrung für Ihre Bachelor-Thesis «Wirtschaftliche Energiespeicher für die Stadt Luzern». SWKI Präsident Elmar Fischer lobte die beiden Absolventen, fand es jedoch bedauerlich, dass es nicht mehr Einreichungen für den neuen Award gab. Er hoffe, dass er 2018 mit einer grösseren Anzahl Bewerbungen für den SWKI Ausbildungspreis rechnen könne. Im kommenden Januar erfolgt die Lancierung des Ausbildungspreises 2108.
Weitere Informationen:
www.swki.ch
Bachelor-Thesis «Wirtschaftliche Energiespeicher für die Stadt Luzern»
www.hslu.ch