
«Suffizienz – Wie aus weniger mehr wird»: Das Fokusthema des diesjährigen Schweizer Bau-und Immobilienforums lockte über 110 Bau- und Immobilienfachleute an die Hochschule Luzern nach Rotkreuz. Sie diskutierten über Suffizienz im Bau – aus Sicht der Architektur, des Betriebs und der Ökonomie. Und waren sich einig: Suffizienz ist kein Verzicht, sondern die ehrliche Antwort auf die Frage: Was brauchen wir wirklich?
Suffizienz sucht nach dem «richtigen» Mass: Was braucht es für ein gutes Leben, das gleichzeitig die natürlichen Ressourcen der Erde schont? Diese Frage stellt sich auch für den Bau und Betrieb von Gebäuden. Suffizientes Bauen verbraucht möglichst wenig Land, Energie und Rohstoffe. Wege zu diesem Ziel sind etwa die Sanierung und Umnutzung bestehender Strukturen anstelle von Neubauten, das Bauen an gut erreichbaren Orten für weniger Pendelverkehr oder die Reduktion der Flächenverbrauchs pro Kopf.
Konkrete Hebel für mehr Wohnraum auf weniger Fläche zeigte Nico Müller von der Wüest Partner AG in seinem Referat auf. Co-Living-Konzepte mit gemeinsam genutzten Räumen – gerade auch für ältere Menschen, die überdurchschnittlich viel Wohnraum beanspruchen –, die Transformation unternutzter Flächen – etwa wegen Homeoffice leerstehende Büros – oder die Verdichtung durch Aufzonung wären mögliche Lösungsansätze, um Land zu sparen. Dass der Boden ein knappes Gut, die «ultimate resource» sei, betonte auch Marco Salvi von Avenir Suisse. Raumplanungsgesetze sollen den Landverbrauch bremsen. Doch Suffizienz allein löse das Problem nicht. Es lebten immer mehr Menschen in immer kleineren Haushalten. In der Stadt Zürich seien derzeit 46 Prozent der Haushalte Ein-Personen-Haushalte. Die Haushaltsstruktur sei aber entscheidend für den Wohnraumkonsum. Deshalb müsse man sich fragen, wie sich die Haushaltsbildung mit neuen Anreizen steuern lasse, etwa mit Prämien für den Auszug aus zu grossen Wohnungen, wenn z.B. die Kinder ausziehen.
Kreisläufe und die Natur nutzen
Wie man mit Kreisläufen ressourcenschonend baut, zeigte Christine Steiner Bächi, KOS PartnerInnen GmbH, am Beispiel der Zürcher Überbauung «nordnordost». Dort bereitet ein zirkuläres Sanitärsystem das Abwasser vor Ort auf und führt es in den Kreislauf zurück. Das Grauwasser wird für die WC-Spülungen, aber auch für die Bewässerung der Felder genutzt, auf denen das Gemüse wächst, welches in Form eines Gemüse-Abos fix im Mietvertrag enthalten ist. Dass beim suffizienten Bauen auch das menschliche Wohlbefinden im Zentrum stehen muss, führte Daniel Tschudy, Velux Schweiz AG, aus. Für das Wohlbefinden fast wichtiger als die Wohnfläche seien gute Luftqualität und viel Tageslicht. Dies könne man etwa mit mehr Fenstern und einer grösseren Raumhöhe statt mit viel teurer Technik erreichen. Damit werde nicht nur die mentale und physische Gesundheit der Bewohnenden verbessert, sondern auch Energie eingespart.
Suffizienz durch Effizienz
Mit Effizienz zu mehr Suffizienz am Flughafen Zürich: Darüber sprach Andres Stierli, Leiter technisches Gebäudemanagement bei der Flughafen Zürich AG. Man setze auf Effizienz durch die optimale Nutzung von Flächen und den bedarfsgerechten Anlagenbetrieb mit reduzierten Betriebsstunden – etwa mittels Klimaanlagen, die das Passagieraufkommen prädiktiv berücksichtigen. Der Neubau des Docks A werde ab 2030 zu grossen Teilen aus nachhaltigem Holz gebaut und mit Photovoltaik bestückt, sodass ein Grossteil des Strombedarfs des Docks damit abgedeckt werden könne.
Verborgene Qualitäten entdecken und nutzen
Gion A. Caminada, emeritierter Professor für Architektur an der ETH Zürich, rief dazu auf, den Herausforderungen der Zeit, etwa dem Klimawandel, mit architektonischen Mitteln entgegenzutreten. Suffizienz sei nicht Verzicht, sondern das Entdecken von (noch) verborgenen Qualitäten. Caminada zeigte inspirierende Beispiele klimafreundlichen Wohnens aus seinem Schaffen, etwa die Siedlung «Burggarta» in Valendas, wo sich Räume mit aktiver (Heizung) und passiver (Sonne) Erwärmung und damit unterschiedlichen Temperaturen um die Küche als sozialem Kern gruppieren, die im Sommer der kühlste, im Winter der wärmste Raum ist. Neben dem Einsparen von Energie erlaube die Architektur damit den Bewohnenden, auch in den Innenräumen mit der Natur und den Jahreszeiten in Verbindung zu treten.
Das Plenum war sich einig, dass man im Bereich der Suffizienz beim Bau und Betrieb von Gebäuden in den Anfängen steckt und es noch viel Potenzial zu entdecken gibt. Das grosse Interesse am Anlass zeugte davon, dass sich die Teilnehmenden auf diese Entdeckungsreise einlassen wollen. Die vorgestellten Beispiele zeigten auf, in welche Richtung sie gehen könnte.
Das Schweizer Bau- und Immobilienforum wird veranstaltet vom Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE) und vom Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS). Das nächste Schweizer Bau- und Immobilienforum findet am 11. November 2026 statt.
Hochschule Luzern – HSLU
Die Hochschule Luzern ist die Fachhochschule der sechs Zentralschweizer Kantone und vereinigt die Departemente Technik & Architektur, Wirtschaft, Informatik, Soziale Arbeit, Design Film Kunst, Musik sowie den Schwerpunkt Gesundheit. Mit rund 8’700 Studierenden und rund 12’000 Weiterbildungsteilnehmenden (davon 5’600 MAS, DAS, CAS), 235 neuen Forschungsprojekten und 2’120 Mitarbeitenden ist sie die grösste Bildungsinstitution im Herzen der Schweiz. www.hslu.ch
Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz – NNBS
Ziel des NNBS ist es, das nachhaltige Bauen in der Schweiz zu fördern. Mit über 180 Mitgliedern aus Wirtschaft, öffentlicher Hand, Forschung und Bildung ist es breit abgestützt. Das ermöglicht es ihm, die Kräfte zu bündeln und ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Indem es nützliche Instrumente bereitstellt und für die nötigen Rahmenbedingungen sorgt, fördert es die Umsetzung in die Praxis. www.nnbs.ch





