Energiewende Schweiz: Ziele, Herausforderungen und Kosten

Die Modellrechnungen der Forschenden zeigen, dass 80 Prozent mehr Kapazität aus Windkraftanlagen, 11 Prozent mehr aus Gaskraftwerken und 10 Prozent mehr aus Solaranlagen erforderlich sind. Foto: Sander Weeteling / Unsplash
Die Modellrechnungen der Forschenden zeigen, dass 80 Prozent mehr Kapazität aus Windkraftanlagen, 11 Prozent mehr aus Gaskraftwerken und 10 Prozent mehr aus Solaranlagen erforderlich sind. Foto: Sander Weeteling / Unsplash

Bis 2050 soll das Energiesystem der Schweiz klimaneutral werden und ohne Atomstrom auskommen. Ein Bericht eines Schweizer Forschungskonsortiums, an dem Forschende der EPFL, ETH Zürich, WSL, der Universitäten Genf und Bern sowie der ZHAW beteiligt waren, zeigt auf, wie dies erreicht werden könnte und welche Kosten damit verbunden sind.

Das Ziel der Energiewende in der Schweiz ist eine CO2-neutrale Energieversorgung bis 2050. Dies erfordert eine Elektrifizierung von Verkehr, Heizung und Industrie, wodurch der jährliche Strombedarf von aktuell 56 Terawattstunden (TWh) auf etwa 75 TWh steigen würde. Gleichzeitig müssten die 23 TWh, die derzeit von Schweizer Kernkraftwerken geliefert werden, ersetzt werden.

Erhebliche Expansion von Wind- und Solarenergie
Am 9. Juni 2024 stimmten 69 Prozent der Schweizer Stimmbürger dem Stromversorgungsgesetz zu, das vorsieht, dass die Schweiz bis 2050 etwa 60 Prozent ihres Strombedarfs (45 TWh pro Jahr) aus neuen erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik, Windenergie oder Biomasse decken soll.

Die erste Studie des Berichts zeigt, dass es verschiedene Wege gibt, das Ziel von 45 TWh zu erreichen. Dazu wäre jedoch ein massiver Ausbau von Photovoltaik und Windenergie erforderlich. Von den 45 TWh würden im Durchschnitt etwa 28 TWh aus Photovoltaik-Anlagen, 13 TWh aus Windkraftanlagen und der Rest aus Biomasse stammen.

Die installierte Kapazität der Photovoltaik müsste von heute 6,4 Gigawatt (GW) auf etwa 26,8 GW im Jahr 2050 steigen – eine Vervierfachung. Bei der Windenergie, die besonders im Winter wichtig für die Stromerzeugung ist, wäre ein noch grösserer Ausbau nötig. Die Kapazität müsste von aktuell 0,1 GW auf etwa 8,4 GW im Jahr 2050 steigen – mehr als das 80-fache der heutigen Kapazität. Dieser Ausbau sei ohne wirksame Subventionen kaum vorstellbar, erklärt Giovanni Sansavini, Professor für Reliability and Risk Engineering an der ETH Zürich und Co-Autor der Studie.

Kosten und Importe
Das Stromversorgungsgesetz sieht vor, dass die Nettoimporte von Strom im Winter 5 TWh nicht überschreiten dürfen. Eine strikte Umsetzung dieser Regel würde erheblich mehr inländische Energieproduktion erfordern.

Gemäss den Modellrechnungen der Forschenden müssten die Kapazitäten von Windkraftanlagen um 80 Prozent, von Gaskraftwerken um 11 Prozent und von Solaranlagen um 10 Prozent erhöht werden. Zudem könnten die Kosten für die Stromversorgung, die hauptsächlich aus Investitions- und Betriebskosten bestehen, um ein Fünftel steigen, und der Strompreis könnte sich mehr als verdoppeln.

Abhängigkeit vom europäischen Strommarkt
Die EU könnte in Zukunft 70 Prozent ihrer Netzkapazität für den Handel zwischen Mitgliedstaaten reservieren. In der Studie wurde auch untersucht, wie eine Reduktion des grenzüberschreitenden Stromhandelsvolumens um 70 Prozent die Stromversorgungskosten und den Strommix beeinflussen würde.

Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass die installierte Kapazität von Windkraftanlagen in der Schweiz um weitere 20 Prozent gesteigert werden müsste, wenn der grenzüberschreitende Stromhandel eingeschränkt wird. Die Stromversorgungskosten würden in diesem Szenario um acht Prozent steigen.

Die Ergebnisse verdeutlichen, wie wichtig eine nahtlose Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt ist, so Ambra Van Liedekerke, Doktorandin in Sansavinis Gruppe und Co-Autorin der Studie. Ohne Integration würden nicht nur die Kosten steigen, sondern auch die Verfügbarkeit von Strom eingeschränkt. Zudem sei klar, dass mehr Windkraftanlagen benötigt würden.

Investitionen in erneuerbare Energien
Eine weitere Studie zeigt, wie stark das Schweizer Energiesystem finanziell mit Europa verflochten ist: Über die Hälfte der jährlichen Investitionen von Schweizer Elektrizitätsunternehmen und Finanzinvestoren in erneuerbare Energieprojekte fliessen in andere europäische Länder. Diese Projekte betreffen Energieanlagen mit einer Kapazität von über einem Megawatt. Nur ein Prozent dieser Investitionen verbleibt in der Schweiz.

Die grössten jährlichen Investitionen gehen nach Deutschland (ca. 177 Millionen Dollar), Frankreich (ca. 112 Millionen Dollar) und Italien (ca. 43 Millionen Dollar). Zudem investieren Schweizer Geldgeber jährlich 644 Millionen Dollar ausserhalb Europas. Bemerkenswert ist, dass fast 60 Prozent dieser Schweizer Gelder in Windenergieprojekte fliesst. «Offenbar finanzieren Investoren Projekte im Ausland, die sie in der Schweiz nicht im gleichen Umfang umsetzen könnten. Auf diese Weise trägt die Schweiz zur Energiewende über ihre eigenen Grenzen hinaus bei», erläutert Bjarne Steffen, Leiter der Gruppe Climate Finance and Policy an der ETH Zürich und Co-Autor des Berichts.

Kosten der Klimaneutralität
Eine dritte Studie des EDGE-Berichts modelliert die Kosten für Schweizer Haushalte, um das Klimaneutralitätsziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Fossile Energiepreise und Produktionskosten vieler Güter könnten bis 2050 durch CO₂-Abgaben und Emissionshandel steigen, was viele Alltagsprodukte und Dienstleistungen wie Wohnen, Energie, Lebensmittel und Mobilität verteuern würde.

Schweizer Haushalte könnten bis 2050 aufgrund geringerer Einkommen und höherer Preise weniger konsumieren. Die Höhe des Verlustes hängt von den Klimaschutzbemühungen im Ausland ab. Wenn nur Europa bis 2050 klimaneutral wird, könnte die Energiewende die durchschnittlichen Haushalte jährlich 0,63 Prozent ihres Konsums kosten. Wenn jedoch alle OECD-Länder bis 2050, China bis 2060 und der Rest der Welt bis 2070 klimaneutral werden, könnten die Kosten auf 0,75 Prozent des jährlichen Konsums steigen.

Falls die Schweiz ihre Emissionen nicht im Ausland kompensieren kann, könnten die Kosten auf ein Prozent pro Jahr und Haushalt steigen. «Es ist wichtig zu beachten, dass die Kosten unbegrenzter CO2-Emissionen wahrscheinlich viel höher wären», sagt Philippe Thalmann, Professor für Wirtschaft an der EPFL und Co-Autor des Berichts.

SWEET und EDGE

SWEET („SWiss Energy research for the Energy Transition“) ist ein Förderprogramm des Bundesamts für Energie (BFE). Ziel von SWEET ist es, Innovationen zu beschleunigen, die entscheidend für die Umsetzung der Energiestrategie 2050 und die Klimaziele der Schweiz sind. EDGE ist ein vom SWEET-Programm des BFE gefördertes Konsortium, das gemeinsam von der Universität Genf und der EPFL in Lausanne koordiniert wird. Zu den Teilnehmer*innen des Konsortiums gehören die Universität Bern, die ETH Zürich und andere Partner. Das Konsortium untersucht, wie das Schweizer Energiesystem bis 2035 und 2050 technisch und wirtschaftlich optimal sowie sicher gestaltet und betrieben werden kann. Die Forschung wurde mit Unterstützung des BFE durchgeführt. Die Autoren tragen die alleinige Verantwortung für die in der Publikation dargestellten Schlussfolgerungen und Ergebnisse.  www.sweet-edge.ch