Neues Zürcher Stadtjuwel

Der Architekt Calatrava entwarf bereits den neuen Bahnhof Stadelhofen. Foto: Manuel Pestalozzi
Der Architekt Calatrava entwarf bereits den neuen Bahnhof Stadelhofen. Foto: Manuel Pestalozzi

Stadtbausteine gibt es viele, Stadtjuwelen sind selten. Beim Bahnhof Stadelhofen in Zürich steht jetzt eines. Das neue Haus zum Falken wurde passgenau ins komplexe urbane Gefüge eingepasst. Mit seiner facettierten Oberfläche und einer edlen Fassung wirkt das Werk von Santiago Calatrava tatsächlich wie ein Schmuckstück.  Text: Manuel Pestalozzi/Bau-Auslese

Das ursprüngliche Haus zum Falken wurde gebaut, als die Vorstadt Stadelhofen noch ausserhalb des Befestigungsrings von Zürich lag. Später geriet es in die unmittelbare Nachbarschaft des Pendlerbahnhofs Stadelhofen, der aus dem angrenzenden Hügelzug gegraben wurde. Das Haus war fortan zwischen der Perronanlage und der ansteigenden Kreuzbühlstrasse eingeklemmt. Die Eigentümerin, die AXA Anlagestiftung, beauftragte den Architekten und Ingenieur Santiago Calatrava mit einem Neubau, dessen mehrgeschossiger Keller in Absprache mit der Stadt Zürich Einstellräume für insgesamt 800 Velos enthält.

Haus zum Falken als eigenständige Skulptur
Der Architekt wurde mit Bedacht ausgesucht; Calatrava entwarf bereits den neuen Bahnhof Stadelhofen, der 1989 mit der Einweihung der S-Bahn in Betrieb ging und weit über Zürich hinaus für Aufsehen sorgte. Der auf allen Seiten vom Verkehr umflossene, nun bezugsbereite Neubau setzt sich zwar auf eine ähnliche Art wie der Bahnhof mit der Situation zwischen dem dichten Seefeldquartier und der stark durchgrünten hohen Promenade auf der Hangseite auseinander: Ein solider Untersatz trägt eine lichte, skelettale Struktur, welche den Übergang zwischen den beiden angrenzenden Quartieren durchlässig macht. Das Haus zum Falken tritt aber als eigenständige Skulptur in Erscheinung: Eine edle Sockelpartie aus poliertem Kalkstein mit sanft gerundeten Kanten passt das Volumen präzise ein in die Verkehrsflächen. Über diesem Sockel ist das Gebäude mit einer vollkommen verglasten Vorhangfassade eingekleidet. Mit eng aufeinander folgenden vertikalen Rippen bestimmt sie seine Erscheinungsform. Keine Partie der Fassade verläuft senkrecht; über dem keilförmigen Erdgeschoss wächst jedes der vier oberen Geschosse etwas weiter nach aussen, das Flachdach nimmt sich wieder etwas zurück. Durch die Ausdehnung nach oben wird auf Strassenniveau Freiraum gewonnen. Die Fassade folgt ihr bis hin zum Knick nach innen an der Dachtraufe und zugleich der Grundrissform. Dadurch vermittelt sie den Eindruck eines facettierten Edelsteins, dem der Sockel als Fassung dient. Die ungewöhnliche, etwas isolierte und gleichzeitig exponierte städtebauliche Situation ist der geeignete Standort für diese ausdrucksstarke Architektursprache.

Die skulpturalen Stahlstützen sind ein Blickfang. Foto: Manuel Pestalozzi
Die skulpturalen Stahlstützen sind ein Blickfang. Foto: Manuel Pestalozzi

Lobby ist Santiago Calatravas besonderer Stolz
Der gewonnene Freiraum an den Enden des Gebäudes werden als Platzflächen genutzt. Die breite Seite des «Keils» grenzt an das Bahnhofsareal und den Treppenaufgang einer Fussgängerüberführung. An dieser Platzfläche wird demnächst die Confiserie Bachmann eine Filiale eröffnen. Der Platz an der Schmalseite, von der ansteigenden Kreuzbühlstrasse her erschlossen, ist ein Geschoss höher. An ihm liegt der Eingang zu vier Geschossen mit medizinischen Angeboten. Der harte Sockel bildet hier eine verglaste, von drei Seiten einsehbare Lobby, die Santiago Calatravas besonderer Stolz ist – das war anlässlich eines Presserundgangs am 28. Oktober 2025 leicht erkennbar. «Alle Menschen, die hier vorbeikommen, haben vollkommenen Einblick, auch vom Tram und der Forchbahn aus», hielt er fest. Das Dach der stützenfreien, als Brückenbogen konzipierten Lobby ist eine einzige Lichtdecke. Die Eintretenden finden sich vor einer Wand aus lackiertem Nussbaumholz, mit fünf Türen zu den Aufzügen, dem Treppenhaus und dem untersten Geschoss. Die Wand ist mit messingfarbenen Lisenen ähnlich wie die Fassaden gegliedert und weist eine reliefartige Plastizität auf. Der extravagante halböffentliche Raum erinnert ein wenig an die Elevator Lobbys in Wolkenkratzern aus der Art Déco-Ära.

Künstlerischer Anspruch gegen Banalität des Alltags
Die oberen Geschosse des Hauses lassen sich frei unterteilen. Skulpturale Stahlstützen sind ein Blickfang und machen wie bei vielen Werken Santiago Calatravas das Abtragen der Lasten erlebbar. AXA konnte bereits alle Räumlichkeiten vermieten: Sie stellt unterschiedliche medizinische Angebote in Aussicht, unter anderem aus dem Bereich der Inneren Medizin, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Das Spital Zollikerberg will im Haus zum Falken unter anderem seine Frauen-Permanence Zürich betreiben. Die Eröffnung der Flächen im Obergeschoss erfolgt gemäss AXA IM, Teil der BNP Paribas Group, gestaffelt im kommenden Jahr und ist abhängig vom Zeitplan der jeweiligen Mieter. Alle Beteiligten freuen sich, dass im Haus reger Publikumsverkehr zu erwarten ist. Dies passt in der Tat zu diesem Gebäude, das trotz seiner Geschosszahl den Charakter eines Pavillons hat und eigentlich für ein reges Kommen und Gehen prädestiniert ist. Wie bei diversen Bauten wird sich weisen müssen, ob sich der hohe künstlerische Anspruch mit der unvermeidlichen Banalität des Alltags vereinbaren lässt und wie die edle Architektur das bisweilen raue Umfeld am stark frequentieren Bahnhofsgelände erträgt.