Smartes Glas schützt vor Sonne

Bei Gebäuden mit großen Glasfronten ermöglicht die Ausstattung mit elektro- oder thermochromen Fenstern Energieeeinsparungen von bis zu 70 Prozent bei Heizung und Kühlung. Foto: Fraunhofer
Bei Gebäuden mit großen Glasfronten ermöglicht die Ausstattung mit elektro- oder thermochromen Fenstern Energieeeinsparungen von bis zu 70 Prozent bei Heizung und Kühlung. Foto: Fraunhofer

Fraunhofer-Forschende haben eine intelligente Beschichtung für Glasfenster entwickelt, die sich bei Sonneneinstrahlung verdunkelt. Ermöglicht wird dies durch elektro- und thermochrome Materialien, die auf Strom bzw. Wärme reagieren. Bei Gebäuden mit großen Glasfassaden verhindert dies, dass sich die Räume durch Sonneneinstrahlung extrem aufheizen. Die energieintensive Klimaanlage kann abgeschaltet bleiben.

Der Gebäudesektor zählt zu den grössten Verursachern von Treibhausgas-Emissionen. Nach Angaben des Umweltbundesamts sind Gebäude in Deutschland für etwa 30 Prozent der gesamten CO2-Emissionen und 35 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich. Besonders problematisch sind Gebäude mit grossen Glasflächen, beispielsweise die für Grossstädte typischen Bürohochhäuser. Besonders im Sommer heizen sie sich durch die Sonneneinstrahlung auf. Der Einsatz von schützenden Jalousien oder Vorhängen ist oftmals unerwünscht, stört er doch den ästhetischen Gesamteindruck des Gebäudes und den Blick nach draussen. Die Temperatur in den Räumen muss deshalb durch Klimaanlagen heruntergekühlt werden. Das benötigt viel Strom und verschlechtert die Klimabilanz des Gebäudes.

Eine elegante Lösung für dieses Problem haben das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg und das Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP in Dresden vorgestellt. Im Projekt Switch2Save setzen Forscherinnen und Forscher auf eine transparente Beschichtung der Fenster oder Glasfassaden mit elektro- bzw. thermochromen Materialien. Diese sorgen für eine stufenlose transparente Abdunkelung der Fensterfronten und verhindern damit das Aufheizen der Räume. Bei dem EU-geförderten Forschungsvorhaben arbeiten die Fraunhofer-Institute mit Universitäten und Industriepartnern aus sechs EU-Staaten zusammen.

Die Wirkung von elektrochromen Fenstern. Foto: Chromogenics AB
Die Wirkung von elektrochromen Fenstern. Foto: Chromogenics AB

Elektrochrome und thermochrome Beschichtung
«Die elektrochrome Beschichtung wird auf einer transparenten, stromleitfähigen Folie aufgebracht und ist aktiv schaltbar. Wird Spannung bzw. Strom angelegt, findet ein Ladungs- und Ionenaustausch statt, und die Beschichtung dunkelt ein, was zu einer Verschattung im Fenster führt. Die thermochrome Variante hingegen arbeitet rein passiv und reflektiert ab einer bestimmten Umgebungstemperatur die Wärmestrahlung der Sonne», erklärt Dr. Marco Schott, Gruppenleiter Elektrochrome Systeme am Fraunhofer ISC.

Bei den elektrochromen Elementen könnten Sensoren Werte wie Helligkeit oder Temperatur messen und an die Steuerelektronik schicken. Diese sendet einen Strom- oder Spannungsimpuls in die leitfähige Folie und löst damit die Verschattung des Fensters aus. Je nach Wärme oder Sonneneinstrahlung verdunkelt sich die Glasfläche stufenlos. Gerade in südlichen Breitengraden oder bei Gebäuden mit großen Fensterflächen, die nach Süden weisen, verhindert die Einfärbung, dass sich der Raum aufheizt und die Klimaanlage anspringen muss. Zudem dient sie als Blendschutz, wenn die Sonne in den Raum scheint. An einem bewölkten Tag oder am Abend bleiben die Fenster hell. Die wegen der Beschichtung unvermeidliche Resteinfärbung ist für das Auge nicht störend.

Die Fraunhofer-Forschenden haben dabei auch an die Alltagstauglichkeit von Switch2Save gedacht. «Die Einfärbung vollzieht sich nicht schlagartig, sondern sanft innerhalb einiger Minuten», erklärt Schott. Der Stromverbrauch ist dabei sehr gering. Zum einen benötigt die elektrochrome Folie im Idealfall nur bei Schaltvorgängen Strom, zum anderen genügen wenige Volt, um den Verdunklungsprozess anzustossen. Gar keinen Strom benötigen die thermochromen Materialien, da sie rein passiv auf die durch Sonneneinstrahlung erzeugte Wärme reagieren. Diese dienen entweder als Ergänzung zu einem aktiv schaltbaren System oder als Alternative in Szenarien, bei denen keine aktive Schaltbarkeit erforderlich ist.

Demonstrator-Gebäude in Athen und Uppsala
Besonders grosse Energieeinsparungen durch niedriger gestellte oder gar nicht eingeschaltete Klimaanlagen verspricht Switch2Save überall da, wo hohe Aussentemperaturen herrschen, also in südlichen Regionen. Dr. John Fahlteich, Switch2Save-Verbundkooordinator und Forschungsgruppenleiter am Fraunhofer FEP, stellt fest: «In warmen Regionen Europas lässt sich so der Kühl- und Heizenergiebedarf von modernen Gebäuden um bis zu 70 Prozent reduzieren.» In den kälteren Regionen des Nordens sind die Einsparungen geringer. Doch auch hier könnten die Systeme genutzt werden, um bei direkter Sonneneinstrahlung einen Blendschutz zu gewährleisten.

Prinzipiell bietet die Kombination aus elektro- und thermochrom in einem Verbundfenster die grösstmögliche Flexibilität. Auf diese Weise können Architekten und Bauherren für ganz unterschiedliche Regionen und Gebäude jeweils individuelle Lösungen umsetzen. «Wir statten gerade die Kinderklinik des zweitgrössten Krankenhauses Griechenlands in Athen und ein Bürogebäude in Uppsala mit der Technik aus. In beiden Gebäuden wird der Energiebedarf sowohl vor als auch nach Installation der neuen Fenster für ein ganzes Jahr überwacht und verglichen. So demonstrieren wir die Leistungsfähigkeit von Switch2Save und können die Technologie für unterschiedliche Klimazonen weiter erproben und verfeinern«», sagt Fahlteich.

Die Beschichtungen werden im Rolle-zu-Rolle-Verfahren hergestellt. Mit wenigen 100 µm sind sowohl die elektrochrome Folie als auch das thermochrome Dünnglas-Substrat extrem dünn. Foto: Fraunhofer
Die Beschichtungen werden im Rolle-zu-Rolle-Verfahren hergestellt. Mit wenigen 100 µm sind sowohl die elektrochrome Folie als auch das thermochrome Dünnglas-Substrat extrem dünn. Foto: Fraunhofer

Fertigung im Rolle-zu-Rolle-Verfahren
Auch die Probleme bei der Fertigung haben die Forschenden gelöst. Die elektrochrome Beschichtung wird auf einem Foliensubstrat auf Polymer-Basis aufgebracht. Die thermochrome Version hingegen arbeitet mit einem Dünnglas-Substrat. Es werden nasschemische Beschichtungsverfahren sowie Vakuumbeschichtungsverfahren im kosteneffizienten Rolle-zu-Rolle-Betrieb eingesetzt. Die schaltbaren Bauelemente werden anschliessend im Vakuum auf ein 4 mm dickes Fensterglas laminiert. Dieses wird schliesslich Teil des Verbundfensters. Das Beschichtungsverfahren ist auch im industriellen Massstab wirtschaftlich realisierbar. Die elektro- und thermochrom-schaltbaren Elemente sind nur wenige 100 µm dick und weniger als 500 g pro Quadratmeter leicht. Sie verändern damit das Gewicht der Verbundfenster kaum, sodass diese ohne Nachbesserungen an der Gebäudekonstruktion oder Statik in Bestandsgebäuden nachgerüstet werden können.

Geschwungenes Glas und bunte Fenster
Derzeit arbeitet das Projektkonsortium daran, die Technologie weiterzuentwickeln. So erforscht das Expertenteam, wie sich die elektro- und die thermochromen Elemente in einem Verbundfenster miteinander kombinieren lassen, um das Potenzial der Technologie noch besser auszuschöpfen. Weitere Forschungsziele bestehen darin, die Beschichtung auf geschwungenen Glasformen aufzubringen und zu den bestehenden Farbtönen Blau und Grau weitere Farben zu ergänzen.

Die Klimaerwärmung und die Ziele des europäischen Green Deal werden die Nachfrage nach energieeffizienter Gebäudetechnik in den nächsten Jahren deutlich steigen lassen. Noch vor 2050 sollen alle Gebäude in der EU CO2-neutral sein. Dazu leisten die elektro- und thermochromen Fenster des EU-Projekts Switch2Save einen wichtigen Beitrag.