Grüne Gebäudehüllen aus dem PC

Konzeptionelle Karte, die aus mehreren Ebenen besteht und aus der Analyse des ökologischen Modells resultiert. Diese Karte zeigt die Anzahl der Tiere und Pflanzen, die auf einem Gebäude leben, unter Berücksichtigung von Informationen über den Schatten des Gebäudes und Bodenflächen auf dem Gebäude (braun). Dunkle Farben bedeuten viele Tiere und Pflanzen in diesem Bereich; weiss bedeutet wenige. Visualisierung: Viky Culshaw, Francesca Mosca
Konzeptionelle Karte, die aus mehreren Ebenen besteht und aus der Analyse des ökologischen Modells resultiert. Diese Karte zeigt die Anzahl der Tiere und Pflanzen, die auf einem Gebäude leben, unter Berücksichtigung von Informationen über den Schatten des Gebäudes und Bodenflächen auf dem Gebäude (braun). Dunkle Farben bedeuten viele Tiere und Pflanzen in diesem Bereich; weiss bedeutet wenige. Visualisierung: Viky Culshaw, Francesca Mosca

Forschende der Technischen Universität München wollen Aussenhüllen von Gebäuden zu Lebensräumen für Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen machen. Sie entwickeln ein Software-Plugin, das dieses Wissen schon in den Planungsprozess einbringt.

Der städtische Raum wächst. Das Bild einer grünen, artenreichen und lebenswerten Stadt ist eine Wunschvorstellung für viele Menschen, die darin wohnen. Doch Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen können nur da gedeihen, wo ihr Lebensraum artgerecht ist und ihre Bedürfnisse berüchsichtigt werden. Das Projekt «ECOlogical building enveLOPES – ECOLOPES» von Wolfgang Weisser, Professor für Terrestrische Ökologie an der TUM, entwickelt mit internationalen Partnern ein geeignetes Werkzeug, um Gebäudehüllen naturnaher und mit Blick auf andere Lebewesen zu planen. Das Team besteht aus Forschenden der TUM, der Vienna University of Technology, der University of Genoa und dem Israel Institute of Technology, sowie zwei Partnern aus der Wirtschaft.

Entwicklung eines neue Plugins
«Wir wollen das Wissen, das Biologen und Ökologen besitzen, auch Architekten und Stadtplanern zur Verfügung stellen – und zwar auf eine Weise, die zu ihrer eigenen Arbeitsweise passt», sagt Weisser. Das wissenschaftliche Team erarbeitet deshalb ein ökologisches Modell, das für Architekten-Softwarelösungen verwendet werden kann, die schon jetzt für die computergestützte Planung von Gebäudehülle beziehungsweise Aussenfassaden genutzt werden. Bisher verwenden Architekten sie, um Wärmeverluste oder den Bedarf an Klimaanlagen zu berechnen.

Mit dem Modell sollen dann zukünftig auch Daten zu Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen abrufbar sein, die sich ansiedeln könnten. Das können Informationen über Versteck- und Nistmöglichkeiten oder das Nahrungsangebot sein, aber auch über das Zusammeleben mit anderen Arten. Eine Grundlage für dieses Tool ist die Methode des «Animal Aided Design», die den Schutz und Integration von wildlebenden Tieren in die Stadtplanung einführen möchte.

Wissenschaftliche Datengrundlage
«Momentan wird in Planungen für Gebäude und dazugehörige Grünanlagen noch viel Wert auf ästhetische Gesichtspunkte gelegt. Die Natur ist quasi eher das ‹Sahnhäubchen› für das architektonische Design. Unsere Vision ist es, die Natur gleichwertig in die Plannung zu integrieren – basierend auf wissenschaftlichen Fakten», erklärt Viky Culshaw. Die Mathematikerin und Statistikerin aus Schottland ist als Postdoc bereits seit Beginn des Projekts 2021 dabei. Sie forscht in dem Bereich, der sich um die Fragestellungen zu Tieren kümmert.

Um eine gute wissenschaftliche Faktenlage zu schaffen, muss das neu Modell mit einer grossen Zahl an Datensätzen «gefüttert» werden. Die Wissenschafter von ECOLOPES recherchieren hierfür in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen über ökologische Nischen oder Nahrungsvorlieben von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Sie kooperieren auch mit anderen Institutionen, um eigene Forschungsdaten zu generieren oder nutzen Datenbanken zum Beispiel über Tierwanderungen.

Erster Prototyp bis Frühjahr 2025
Auf Basis dieser Vielzahl an Datensätzen aus unterschiedlichen Quellen, wird die Computersoftware künftig in der Lage sein, realistische mathematische Modelle zu erstellen, wie Bodenmikroben, Pflanzen und Tiere auf den grünen Gebäudehüllen leben werden. Viky Culshaw arbeitet mit anderen Kolleginnen und Kollegen ihres Teams an der Forschungsaufgabe, diese mathematischen Modelle zu überprüfen und durch Anpassung einzelner Parameter zu optimieren. Die Modelle könnten dann Fragen beantworten wie: Welche Pflanzen wachsen auf einer bestimmten Bodenart, zum Beispiel auf einem Dach? Wie beeinflussen Schatten und Licht das Wachstum? Welche pflanzenfressenden Tiere verzehren diese Pflanzen und siedeln sich auf dem Gebäude an? Welche anderen Tiere könnten sich von ihnen ernähren? «Mit diesen Modellen können wir stabile ökologische Systeme mit geringem Pflegeaufwand erschaffen – eine Win-Win-Situation für die grüne Natur und die Bewohner der Häuser», erklärt sie.

Die Forscher hoffen, im nächsten Jahr einen ersten Prototyp zur Verfügung stellen zu können. Bereits jetzt laufen kleinere Projekte, in denen Datensätze für die Planung realer Gebäudehüllen genutzt werden. Gemeinsam mit ihren Partnern aus Industrie und Wissenschaft wollen Weisser und sein Team das Projekt weiter vorantreiben: Die Einrichtung einer eigenen Graduiertenschule, die Sicherung weiterer Finanzmittel und die Gründung von Spin-offs stehen auf der Agenda des ECOLOPES-Teams.

Co-Kreatives Projekt und Mitwirken von Bürgern
Die Meinung und vor allem die Akzeptanz der Bewohner und Anwohner solcher neu-geplanten «grünen» Häuser ist den Forschenden sehr wichtig. Aus diesem Grund ist das Team von Prof. Weisser an einem Bauprojekt im Münchner Stadtteil Neuperlach beteiligt, das die Mitgestaltung von Bürgern einschliesst. In dem Projekt «NEBourhoods» werden in einem co-kreativen Prozess unterschiedliche Wohn-, Energie- und Stadtteilkonzepte der Öffentlichkeit vorgestellt, die ihre Meinungen und Ideen einbringen kann. Daran ist auch ECOLOPES beteiligt. In unterschiedlichen, interdisziplinären Teams spielen sie Ideen durch, entwickeln Konzepte und treten mit den Menschen in den Dialog, die später vielleicht mal zusammen mit vielen Tieren und Pflanzen in modernen grünen Gebäuden leben werden.