Sozialwirtschaftliche Unternehmen und die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft sind der Schlüssel zum nachhaltigen Vermächtnis von Paris 2024. Kann das Ziel, nur die Hälfte der CO2-Emissionen der vorangegangenen Spiele in London und Rio zu verursachen, erreicht werden? Und werden die Spiele zu einem sorgfältigeren Umgang mit Ressourcen führen? Text: Matthew Campelli, George Timms, slm
Brücken bieten den Menschen die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen und ihre Welt über ihr Zuhause und ihre unmittelbare Umgebung hinaus zu erweitern. So auch bei der Brücke, die im Hinblick auf Paris 2024 neben dem kürzlich errichteten Wassersportzentrum (Aquatics Centre) gebaut wurde. Sie soll das Leben vieler Menschen bereichern – vor allem das der Bewohner der Region Saint-Denis.
Mit Bäumen, Sträuchern und Bänken erhalten die Bewohner der Gegend Zugang zu Grünflächen, die in vielen Grossstädten der Welt rar sind. Nur etwa 11 Prozent der Fläche von Paris sind von Grünflächen bedeckt, und der Anteil der Bäume liegt mit 20 Prozent unter dem Durchschnitt der europäischen Hauptstädte von 29 Prozent.
In städtischen Gebieten mit niedrigem sozioökonomischem Status wie Saint-Denis, stehen im Allgemeinen weniger Grünflächen zur Verfügung als in wohlhabenden Stadtvierteln, so dass die Einrichtungen auf der Brücke den Bewohnern eine dringend benötigte Erholungsmöglichkeit bieten. Vor allem, wenn sie mit den steigenden Temperaturen im Sommer zu kämpfen haben.
Eine Brücke, die verbindet
Die Brücke, die über eine der meistbefahrenen Autobahnen der Stadt führt, verbindet drei Pariser U-Bahn-Stationen, das Stade de France und das Wassersportzentrum. Bei den Olympischen Spielen 2024 werden hier die Wettkämpfe im Wasserspringen, Synchronschwimmen und Wasserball ausgetragen, nach den Spielen wird es zu einer Gemeinschaftseinrichtung umgewandelt.
Sowohl die Brücke als auch das Wassersportzentrum werden Ausgangspunkt für das neue, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Viertel Saint-Denis sein. Laure Mériaud, Präsidentin und assoziierte Architektin von Ateliers 2/3/4 erklärt, dass die Einrichtungen und die Spiele den «Beginn eines neuen Abenteuers» für einen Stadtteil von Paris darstellen, der nicht nur erhebliche Investitionen benötigt, sondern auch die jüngsten Bewohner von ganz Frankreich aufweist.
Nachhaltigkeitsstrategie im Fokus
Im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsstrategie von Paris 2024 stand das Versprechen, ein Portfolio von Sporteinrichtungen zu nutzen, von denen 95 Prozent temporär sind oder bereits gebaut wurden. Das Aquatics Centre, das von Grund auf neu entwickelt werden musste, ist eines der Symbole, die das Ausmass der Nachhaltigkeitsstandards für Multisportveranstaltungen am besten repräsentiert.
Gemäss Mériaud und Cécilia Gross, Partnerin bei VenhoevenCS, die in einem Konsortium mit Ateliers 2/3/4 an der Entwicklung der Anlage mitwirkten, überprüften die Verantwortlichen jeden Aspekt des traditionellen Designs und der Konstruktion des Wassersportzentrums gründlich, um den Umweltzielen der Spiele gerecht zu werden.
Die Form des Daches – eine auffällige Kurve aus 55 Zentimeter dickem Holz – soll dazu beitragen, den Energieverbrauch der Anlage um 50 Prozent zu senken. Auch wird der Bedarf von Lüftung und Heizung reduziert. Durch eine veränderte Form des Schwimmbeckens, gegenüber früherer Spiele, kann der Wasserbedarf um 25 Prozent eingespart werden. Und das Dach liefert mit Solarzellen eine beträchtliche Menge an Energie für das Zentrum.
Die Nachhaltigkeitsstrategie von Paris 2024 steht im Einklang mit dem Klima-, Luft- und Energieplan der Metropole. Dieser enthält eine Reihe von Zielen zur Verbesserung der Klimaresilienz, der Luftqualität und der Energieeffizienz der Stadt sowie der biologischen Vielfalt. Es war von entscheidender Bedeutung, dass für jede neue Einrichtung auf diese umfassenderen Umweltziele hingearbeitet wurde.
Projekt: Design, Build, Finance, Maintain and Operate
Um zu gewährleisten, dass der Projektort mit den Herausforderungen der Spiele und den Bedürfnissen der Stadt übereinstimmt, hat die Métropole du Grand Paris das Projekt als «DBFMO» (Design, Build, Finance, Maintain and Operate) ausgeschrieben. Fachleute und Organisationen wurden mit einbezogen und damit ein Endprodukt geschaffen, das ökologische, menschliche und wirtschaftliche Nachhaltigkeit umfasst.
Das Konsortium liess sich von den örtlichen Behörden beraten und befragte die Einwohner von Saint-Denis, was sie sich von der Anlage im Hinblick auf den Sport wünschen und was sie in ihrem Alltag benötigen. Während der Spiele und anderer Grossveranstaltungen wie der Schwimm-Europameisterschaft, die Paris 2026 ausrichten wird, wird das Wassersportzentrum über 6’000 Sitzplätze verfügen. Zu normalen Zeiten wird die Zahl der Sitzplätze auf 3’000 reduziert, wobei die zusätzlichen 3’000 Plätze für andere Sporteinrichtungen zur Verfügung stehen werden.
Innovationen und Kreislaufwirtschaft
Le Pavé, ein Start-up-Unternehmen, das erst 2018 gegründet wurde, erhielt die Möglichkeit, die Sitze – sowie weitere 8’000 für die Porte de La Chapelle Arena – zu produzieren. Voraussetzung war, diese zu 100 Prozent aus Kunststoffabfällen herzustellen, die in der Region Paris gesammelt wurden.
«Das Unternehmen existierte erst seit einem Jahr, als wir diesen Auftrag erhielten», erzählt Lucas Philipponneau, CEO von Le Pavé. «Wir wurden plötzlich von einem sehr kleinen Unternehmen, zu einem engagierten Team von Ingenieuren und mussten Fabriken bauen, um die Produktion zu erhöhen. Die Olympischen Spiele bieten die Gelegenheit, Dinge anders zu bauen. Wir können grosse Projekte nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft und der Sozialökonomie realisieren. Die Spiele haben es möglich gemacht, ein neues Niveau zu erreichen und Innovationen hervorzubringen».
Tatsächlich ist die Kreislaufwirtschaft eine der fünf strategischen Säulen der Beschaffungsstrategie von Paris 2024. Diese umfasst fünf Schritte: Überdenken der Art und Weise, wie Dinge getan werden; Reduktion des Ressourcenverbrauchs; Wiederverwendung von Ausrüstung; Recycling von Produkten; und Wiederaufbau des Ökosystems der Spiele.
Paris 2024 setzt seinen ressourcenschonenden Ansatz auch bei der Innenausstattung seiner 40 Veranstaltungsorte fort, indem es den Bedarf sorgfältig prüft und konsolidiert, womit die Anzahl der Möbel von 800’000 auf 600’000 gesenkt werden konnte.
Darüber hinaus haben die Organisatoren der Miete gegenüber dem Kauf den Vorzug gegeben: Drei Viertel der Sportgeräte und 75 Prozent der elektronischen Geräte werden über Mietverträge beschafft. Strategische Partnerschaften sorgen dafür, dass alle Tribünen, Zelte und Bungalows für die Spiele gemietet und nicht gekauft wurden, was die Umweltauswirkungen der Veranstaltung minimiert.
Das gesamte Mobiliar und 90 Prozent der Beschilderung, die für die Spiele verwendet werden, erhalten ein zweites Leben, werden wiederverwendet, neu eingesetzt oder recycelt, und 100 Prozent der für die temporäre Infrastruktur verwendeten Materialien werden ebenfalls ein zweites Leben erhalten, wobei 50 Prozent in Frankreich verbleiben.
Verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen
Vincent Brenot, ein in Paris ansässiger Umweltanwalt, ist der Ansicht, dass Frankreichs Regelwerk für Kreislaufwirtschaft und Abfallmanagement zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Ressourcen im ganzen Land führt. Nach EU-Recht sind grosse Unternehmen verpflichtet, mit kleineren, innovativen Unternehmen zusammenzuarbeiten, um ihnen «Zugang zu öffentlichen Aufträgen» zu verschaffen. Der öffentlichkeitswirksame Charakter der Spiele bedeutet, dass sie ein «Förderinstrument» für die reale Umsetzung dieser Grundsätze sein können.
Letztendlich sind die Spiele eine Gelegenheit für grosse Sportereignisse Dinge anders zu gestalten. Wie die Brücke vor dem Wassersportzentrum, die den Vorort Saint-Denis mit einer nachhaltigeren und gerechteren Zukunft verbindet, kann Paris 2024 als Brücke zu einer neuen Art der Organisation von Grossveranstaltungen dienen, bei der Umwelt und soziale Verantwortung an erster Stelle stehen.